
Stricken hält gesund!
Vor kurzem durfte ich an einem sehr interessanten Webinar teilnehmen, dass addi organisiert hat. Es lief unter dem etwas sperrigen Titel „Handarbeit unter den Gesichtspunkten der Gesundheitsprävention“. Oder auch: Stricken hält gesund!
Die Neurowissenschaftlerin Dr. Edda Jaleel, Leiterin der Akademie für Integrative Gesundheitsförderung, erforscht die positiven Auswirkungen des Handarbeitens auf die Gesundheit. In dem Webinar erklärte sie die von ihr untersuchten Zusammenhänge zwischen Handarbeiten und deren Auswirkung auf Körper, Geist und Seele.

Man hat es ja schon öfter gehört, gelesen oder auch im Fernsehbeitrag gesehen, dass Hand-Arbeit (und damit meine ich in diesem Fall alle Tätigkeiten, die wir mit den Händen verrichten) entspannend und stressminimierend wirkt. Der Vortrag von Dr. Jaleel untermauerte diese Aussagen sehr beeindruckend, und ein paar der Erkenntnisse will ich gern mit euch teilen.
Beitrag enthält Werbung: Die Teilnahme am Webinar war für Blogger und Fachhändler kostenlos. Die auf den Fotos gezeigten Garne und Nadeln wurden mir großteils von den Herstellern kostenlos zur Verfügung gestellt.
Negativer Stress
Der Mensch ist aufgrund seiner Hirnstruktur eigentlich nicht gemacht für die digitale Welt, in der wir leben. Der moderne Alltag erfordert von uns ein immer größer werdendes Maß an Flexibilität und Belastbarkeit. Ständige Erreichbarkeit, Multitaskling und daraus folgend fehlende Abgrenzung zwischen Job und Freizeit bestimmen oftmals die tägliche Agenda. Stetiger treuer Partner sind dabei das Smartphone und der Computer, vor denen wir stundenlang oft reglos verharren. Wir haben verlernt, auf die Signale unseres Körpers zu hören, und beuten uns häufig aus bis zur totalen Erschöpfung.

Von seiner Natur her allerdings, und daran haben ein paar Zehntausend Jahre Evolution noch nichts geändert, ist der Mensch ein Fluchttier. Gefährlichen Situationen begegnet unser Nervensystem nach wie vor mit Fluchtsignalen – es werden Stresshormone ausgeschüttet, der Blutdruck steigt, die Bronchien weiten sich: alle Körperfunktionen werden auf Wegrennen eingestellt. Natürlich begegnen wir im modernen Alltag keinem Mammut mehr. Doch jeder von uns kennt Situationen, in denen wir uns gestresst fühlen und die beschriebenen Symptome an uns wahrnehmen. Solange den Stresssituationen Ruhephasen folgen, in denen sich der Körper und auch die Psyche wieder regenerieren können, ist alles im natürlichen, grünen Bereich.
Bei chronischer Überlastung jedoch geht die Kommunikation zwischen Gehirn und Körper Irrwege. Aufgrund dieser falschen Datenbasis trifft unser Gehirn falsche Entscheidungen: man ist ständig „unter Strom“ und im Fluchtmodus. Dies hat messbarre und weitreichende körperliche Folgen. Zum Beispiel leiden wir unter Konzentrationsstörungen und Leistungsverlust, fühlen uns erschöpft und ausgebrannt, reagieren eher gereizt und aggressiv. Bekannte Krankheitsbilder, die aus diesen chronischen Stressreaktionen entstehen können sind zum Beispiel Rückenschmerzen, Verspannungen oder Bluthochdruck. Diese wiederum können zu Folgeerkrankungen führen . Auch Depressionen können entstehen durch ein zu hohes und zu lang anhaltendes Maß an negativem Stress.
Die Welt Be-Greifen
Dr. Jaleel weist in ihrem Vortrag auf die Wichtigkeit der Vorsorge hin.
Jeder weiß es: Kleinkinder lernen ihre Umwelt begreifen durch buchstäbliches Be-Greifen. Sie fassen alles an, befühlen alles, stecken Dinge in den Mund und erarbeiten sich so die Welt über sensorische Eindrücke. Manchmal kann man förmlich die Synapsen wachsen sehen.

Genau diese haptischen Erlebnisse sind in unserer modernen Welt total out. Wir fühlen und berühren hauptsächlich die glatte Oberfläche von Tablet oder Smartphone und vergessen dabei, einander zu berühren oder andere haptische Sinneseindrücke zu schaffen. Unser Tastsinn wird im Alltag immer unwichtiger – und das hat negative Auswirkungen auf die Sinnlichkeit. Auf den ersten Blick kommt man auch ohne Sensorik ganz gut durch die Welt. Jedoch gerät die Umweltwahrnehmung durch den fehlenden Sinneseindruck aus der Waage. Und damit irgendwann das gesamte System Mensch.
Tasten, Greifen, Berühren sind Gegenmittel gegen eine gestörte Körperwahrnehmung. Das kann zum einen geschehen durch körperliche Zuwendung eines Mitmenschen: eine Umarmung, Schulterklopfen, Streicheln. Oder aber durch – genau:
Handarbeiten!
Beim Handarbeiten (und in diesem Zusammenhang meine ich damit alle mit der Hand verrichteten kreativen Tätigkeiten, wie Zeichnen, Schreinern, Töpfern o. ä.) tut man Dinge mit der Hand. Und unsere Finger sind DIE Sensoren für haptische Eindrücke. Hier sitzen Abermillionen Rezeptoren, die an unser Gehirn melden, ob etwas flauschig, hart, biegsam, schleimig … ist und ob uns der Eindruck angenehm ist oder nicht.
Ihr kennt es alle: Ihr fasst in ein Knäuel Babyalpaca oder ein Merino-Seide-Gemisch, knetet das Knäuel ein bisschen – was spürt ihr?

Es ist weich. Es ist glatt. Vielelicht spürt ihr ein paar pieksige Härchen. Ihr spürt, wie dick oder fein der Faden ist. Ist es flauschig, oder eher flutschig? Am Ende entfährt euch verzückt: „Aaaaah!“ Angesichts einer schönen Farbe oder edlen Glanzes weiten sich auch die Augen vor Staunen und Freude – schon sind mindestens zwei Sinne in positiver Aktion.
Raus aus der Stresszone
Die völlige Abkehr von unseren Alltags-Stressoren und die konzentrierte Zuwendung zu einer ganz anderen Tätigkeit wirkt auf alle Sinne beruhigend. Die „Panikzone“ Sympathikus hört auf, Fluchtsignale zu senden. Der Parasympathikus übernimmt und sorgt für Entspannung unseres Nervensystems. Wir tauchen ab in die Welt unseres Handarbeitsprojekts.
Diese positive Sinneseindrücke senden positive Hormone ans Gehirn und lassen uns entspannen: Genau der Gegenpol, der uns im normalen Alltag fehlt, ist nun erreicht. Der Geist richtet sich konzentriert darauf, unsere Hände Maschen werkeln zu lassen. Wer kennt es nicht, das Strickmuster-Mantra, dass wir uns stumm im Geiste vorsagen:
„2 rechts verschränkt – Umschlag, 2 re, 2 rechts zusammen, eins zwei drei vier fünf, 2 rechts verschränkt“.

Beim Stricken oder Häkeln wird zusätzlich zum Gefühl des Garns die Feinmotorik geschult. Während unser Gehirn „spricht“ sendet es gleichzeitig die motorischen Befehle an Hände, Arme und Schultern. Ein Handgriff klappt nicht auf Anhieb? Wir üben ein paar Male, und lernen dabei neue Techniken Auch das räumliche Vorstellungsvermögen wird durch das Lesen und Nacharbeiten von Anleitungen geschult: Handarbeiten ist echtes und ganzheitliches Gehirntraining!
Die Forschungsarbeit von Frau Dr. Jaleel hat bewiesen: Genau genau die Sinneseindrücke, die beim Handarbeiten auf uns wirken, tragen nachweislich zum Abbau von negativem Stress bei. Damit hilft das Handarbeiten den oben beschriebenen negativen Folgen vorzubeugen. Auch bereits eingetretene Krankheitsbilder lassen sich abmildern, teilweise sogar heilen.
Projekt Sinnvoll
Ist das nicht eine tolle Nachricht? Inzwischen gibt es sogar erste Ansätze, Handarbeiten als anerkannten Teil einer Stress-Therapie zuzulassen. Stricken auf Rezept, sozusagen. Um das zu erreichen, forscht Frau Dr. Jaleel unermüdlich weiter.
Dabei berät Frau Dr. Jaleel auch das „Projekt Sinnvoll“ . Bei diesem Projekt können Fachhändler und Fachleute lernen, stressreduzierende Techniken an Kursteilnehmer weiterzugeben. Auf diese Weise wird das „angestaubte“ Image des Handarbeitens wissenschaftlich aufbereitet und die „heilende“ Wirkung kann nachhaltig und praxisorientiert verbreitet werden.
Und hier schließt sich der Kreis: Addi, der Gastgeber des so interessanten Webinars, ist einer der Sponsoren dieses Projekts. Wieder eine tolle Initiative von addi – weiter so!

Der Ansatz des Projekts beeinflusst unter anderem auch das addi-Sortiment, welches auch in diesem Jahr wieder um einige ergonomische Produkte erweitert wurde. Einige davon, zum Beispiel die addi Novel-Nadeln, habe ich euch schon vorgestellt. Mehr über die ergonomischen Produkte und über die addi Umweltstrategie erzähle ich beim nächsten Mal – bleibt dran!
Verlinkt zu Meine Fummeley – Creadienstag